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70. Jahrestag der Bayerischen Verfassung

70. Jahrestag der Bayerischen Verfassung
70. Jahrestag der Bayerischen Verfassung 2
70. Jahrestag der Bayerischen Verfassung 3

Am 8.12.1946 trat die Bayerische Verfassung in Kraft. Ein guter Grund für drei zehnte Klassen, in der Kleinen Aula zusammen zu kommen und sich den Jubilar genauer anzusehen. Ist die "Verfassung des Freistaates Bayern" doch nicht weniger als der erste staatsrechtliche Rahmen, ein erstes Fundament an Staatlichkeit in Bayern nach dem Nationalsozialismus.

 

Nach Jahren der Vereinnahmung und der Rechtlosigkeit vor einem Terror von Staats wegen, den in Deutschland und Europa viele ertragen, nicht wenige aber auch mit getragen hatten, halfen nun die Alliierten beim Neuanfang: dezentral, demokratisch, so selbstständig wie möglich war die Devise der amerikanischen Besatzungsmacht. Das musste sich Bayern nicht zwei Mal sagen lassen.

 

In nur wenigen Monaten gaben sich die Bayern eine Verfassung, ausgearbeitet ab März 1946 in nur dreieinhalb Monaten vom Verfassungsausschuss, in dem die CSU die Mehrheit hatte, in dem aber auch Wilhelm Hoegner (SPD) und Alois Hundhammer (CSU) als bekannteste Vertreter eine parteiübergreifende Kooperation vorlebten. Notwendigerweise darf diese nicht ohne Kontroversen im Einzelnen verlaufen.

 

Um viele Fragen wurde vielmehr scharf gerungen, etwa ob es ein Staatsoberhaupt geben soll oder ein Regierungschef genügt, um ein Ein- oder Zweikammernsystem oder um das Wahlsystem, und auch für die Rolle der Kirche und der Schulen sowie im Abschnitt "Wirtschaft und Arbeit" mussten unterschiedliche Vorstellungen austariert oder wenigstens gegeneinander aufgewogen werden. Aber nach den Kulturbrüchen der vorherigen Jahre war man angetrieben vom tiefen, gemeinsamen Bedürfnis, es besser zu machen, überparteilich in gemeinsamer Sorge für das Individuum in einem christlich geprägten, demokratischen Gemeinwesen. Und das drei Jahre vor der Bundesrepublik und dem Grundgesetz. Natürlich setzten dem späteren 'Bund', noch dem halben in Bonn, aber auch territoriale Fragen und die Weltpolitik viel stärker zu.

 

Es ist dem Referenten Roland Frank zu danken, der auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung am 9.12., also auch im Tag mit einer Punktlandung, zu uns an die Schule kam, dass die Bayerische Verfassung damit weit mehr Kontext und Substanz gewann, als wir vielleicht gewohnt sind in ihr zu sehen und die Schülerinnen und Schüler bisher von ihr wissen können.

 

So etwa, dass sie quasi eine bayerische "Wiederholungstat" ist. Denn schon früher schloss Bayern mit Verfassungen selbstständig für sich Lücken, die für Deutschland aus der Großmächtepolitik in Europa oder auch aus einer noch eigenen Rückständigkeit heraus entstanden waren. Die Konstitution von 1808 verwahrte Bayern, dank Montgelas', zwei Jahre nach dem Untergang des deutschen Kaisertums und des Heiligen Römischen Reichs vor Napoleon, ein wenig zumindest. Zugleich schuf sie überhaupt erstmals für Bayern eine aufgeklärte Staatlichkeit, nach modernen und teilweise bis heute gültigen Prinzipien.

 

Und die Verfassung von 1818 schloss die Partizipationswunde der nationalen und landesherrschaftlichen Bürgerschaft, die die Restauration der Fürstenherrschaft auf dem Wiener Kongress gerissen hatte und die Metternich von Österreich aus auch weiter, bis 1848, reichlich malträtierte. So steht die Bayerische Verfassung von 1946 also in einer wirklich guten Tradition der bürgerschaftlichen Partizipation und der wertorientierten Selbstvergewisserung.

 

Folgende Essentials setzen diese seit 1946 fort und können sich, wie Herr Frank weiter in Beziehung setzte, neben anderen westlichen Verfassungstraditionen in England, Frankreich und den USA leicht sehen lassen:

  • Grund- und Freiheitsrechte
  • Volkssouveränität
  • Gewaltenteilung
  • Gewaltenkontrolle
  • Minderheitenschutz gegen eine "Tyrannei der Mehrheit"

Sie begründen den "Freistaat" in seinem Kern und müssen als "hohes Gut" fortlaufend gepflegt werden, damit sie auch weiterhin gewahrt bleiben. Gut, dass neben einem alltäglichen bürgerschaftlichen Engagement auch die Verfassung selbst etwa mit dem Verfassungsgerichtshof und weitere Institutionen dazu wichtige Beiträge leisten, dass es so bleibt.

 

Im abschließenden Gespräch wurde ein Weiteres deutlich: So kurios inhaltlich und sprachlich eigen der Entstehungszeit geschuldet einzelne Artikel der Verfassung heute erscheinen. Manche sind zeitlos. Oder manche erkennt man erst nach einer Weile wieder als zeitlos. Mancher vielleicht auch wieder nach 2007, 2011, 2015 und zweieinhalb Jahrzehnten vom vermeintlichen "Ende der Geschichte" und einem weiteren Globalisierungsschub. Etwa Artikel 157, Artikel 161, Artikel 168 oder Artikel 176 aus dem "Vierten Hauptteil" zu "Wirtschaft und Arbeit", neben natürlich dem schon immer gerne zitierten Artikel 131, Absatz 1: "Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden."

 

Lesen wir doch nach, wir haben sie ja alle in der Schule für unser Staatsbürgerleben erhalten, wie wohl auch das gemäß Verfassung, nämlich Art. 188. Und erkennen dann diese Artikel als zwar "überholt" von "Bundesrecht" oder "weitgehend bundesrechtlich geregelt", aber doch in Gestalt der verbliebenen "Programmsätze" vielleicht als Mittel gegen Extremismus und Populismus und als Denkanstoß für das C und das S in den Parteinamen. "Sie liest sich so, als hätten Fidel Castro und Papst Franziskus daran mitgeschrieben", untertitelte in der SZ am 3.12. Heribert Prantl seinen "Liebesbrief" an "einen Text, der alt und modern ist."

Ja, man kann die Bayerische Verfassung wirklich mögen.

Andreas Simon